Ein letztes Mal laufe ich die Hauptstraße hinunter. Vorbei am Bäcker und an der Kaffeerösterei, vorbei am alten Warenhaus, hinter dessen nun teilweise schon wieder sichtbaren Erdgeschoss sich das Kaufland, eine Woolworth-Filiale und ein gigantischer Drogeriemarkt im hellen Scheinwerferlicht auf die Eröffnung vorbereiten.
„Man muss kämpfen“, sagt der Fischhändler, „ist alles nicht mehr so leicht.“ Der junge Mann trägt einen dicken blauen Pullover und sieht ein wenig müde aus. Mit einer großen Metallschaufel läuft er nach hinten und kommt mit einer Ladung Eis wieder, die er sorgfältig auf den Makrelen verteilt. Der Laden ist zweckmäßig eingerichtet. Ein strahlend blauer Fußboden Kacheln mit einem Delfin-Motiv und ein Nazar-Amulett an der Wand. Es riecht angenehm nach Fisch, frisch, nicht alt. Ich betrachte die Sardinen vor mir, den Wolfsbarsch und die Doraden. Ganze Fische, noch nicht ausgenommen. Im Fenster ein bisschen Pangasius-Filet, Lachs und Meeresfrüchte, aber der Fokus liegt eindeutig auf den ganzen Tieren, die in weißen Styroporkisten auf den Verkauf warten. Meerbarben, Seehecht, Forellen. In der Theke liegen Zettel mit den Bezeichnungen auf Türkisch und auf Deutsch. Auf den Sardellen steht außerdem „Alice“. Vermutlich der italienischen Kundschaft wegen, der Metzgerladen ist ja gegenüber.
Eine kleine Frau mit Kopftuch und einem langen engen Mantel betritt den Laden. Der Inhaber schaut mich fragend an. „Mach nur“, sage ich, „ich habe Zeit.“ Nach einem kurzen Beratungsgespräch auf Türkisch entscheidet sich die Frau für drei Wolfsbarsche. Der Verkäufer schuppt die Fische, ein irgendwie sprödes Geräusch. Als die Kundin gegangen ist, setzen wir unser Gespräch fort.
Seit zehn Jahren gibt es den Laden nun. Manchmal helfen seine Eltern hier aus. Die kamen 1978 von Istanbul nach Köln, der Vater als Türkisch-Lehrer. Und auch seine Mutter sei eine studierte Frau. „Die haben sich hier gewöhnt“, sagt er und schaut ein wenig abwesend auf die gerade ruhige Straße, „aber ganz ehrlich, du vermisst dein Land.“ 20 Prozent seiner Kunden seien türkisch, sagt er, der Rest gemischt – Deutsche, Italiener, Araber …
Wie heißt du?“, frage ich.
„Orhan.“
„Nachname?“
„Lieber nicht.“
Er verrät noch, dass er 30 Jahre alt ist, ein Foto möchte er nicht machen. Auch nicht von seinen Händen, die einen Fisch halten. „Die Leute sind nicht mehr schnell“, sagt er und lenkt vom Thema ab, „hat sich viel verändert. Ich mag schnelle Geschäfte.“
„Was siehst du in mir?“, fragt er mich unvermittelt und ich weiß nicht direkt, was ich darauf antworten soll.
„Du scheinst mir jemand zu sein, der mehr erreichen will“, sage ich schließlich diplomatisch.
Die Antwort scheint ihm zu gefallen.
„Ja“, sagt er, „man muss kämpfen.“
Fisch Paradies
Rolshover Straße 3 /Di-Sa 9-19
Diese Reihe ist Teil der „Supermarkt-Challenge“, einer Initiative der Aktion Agrar, die mit Kampagnen, Hintergrundrecherchen und Mitmach-Aktionen das Verhältnis der Menschen zu ihren Lebensmitteln verändern wollen. Eine Woche lang, vom 19. bis zum 26. Oktober, verzichten die Teilnehmer*innen der Challenge bewusst auf den Einkauf in Supermärkten und Discountern und werden dabei mit Tipps und Rezepten unterstützt.