Köln-Kalk ist im Kommen, so heißt es. Erhöhte Hipster-Schlagzahl, vegane Nudelsuppenküche, neu-eröffnetes Programmkino und so. Davon hört man im Linksrheinischen und auch über Köln hinaus ist diese cozy version von Neukölln dem einen oder anderen bereits ein Begriff. Das war nicht immer so. Ältere Kölner*innen, mit denen ich über mein Veedel spreche, legen die Stirn sorgenvoll in Falten. Dass sei ja jetzt bestimmt sicherer als früher, sagen sie und mein in Köln aufgewachsener Freund B. erzählt, dass es in seiner Jugend die Direktive gegeben habe: Egal was ihr macht – ihr fahrt nicht nach Kalk!
Die Entwicklung von einer kleinen Ortschaft zu einem flächendeckenden Industriegebiet und letztendlich zu einem Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf würde den Rahmen dieses Textes sprengen. Daher, to make a long story short: Dann war es plötzlich vorbei mit der Industrie. Die Chemische Kalk, Deutschlands zweitgrößter Sodaproduzent wurde 1993 wegen Unwirtschaftlichkeit geschlossen. Der Supergau für ein Viertel mit einem ohnehin problematischen Ruf, hoher Arbeitslosigkeit und erhöhter Kriminalitätsrate. Aber irgendwie ging es weiter. So wie es meistens weiter geht in einer Gesellschaft, die vor allem an Einkauf als Motor des Zusammenlebens glaubt. 2005 eröffneten hier die Köln-Arcaden mit gegenwärtig (nach eigenen Angaben) mehr als 100 Geschäften. 2012 schloss der Kaufhof seine große Filiale schräg gegenüber. In den nächsten Wochen wird hinter der denkmalgeschützten Fassade wiedereröffnet: Ankermieter ist Kaufland.
So weit so gewöhnlich. Wenn sich da nicht ein paar gallische Dörfer finden würden. Auf einem knappen Kilometer Kalker Hauptstraße finden sich zwei deutsche und zwei türkische Bäckereien mit eigener Backstube, es gibt diverse arabische Gemüsehändler, einen Fischladen, eine Kaffeerösterei, zwei Metzgereien, eine Brauerei … Das Geheimnis liegt vielleicht in der Mischung aus alteingesessenen Kölner*innen, Migrant*innen und neuerdings (aufgrund des noch bezahlbaren Wohnraums) auch Studierenden. Viele der sogenannten Gastarbeiter*innen sind geblieben. Um die Kalker Post herum gibt es ein little italy mit Trattorien, Pasticcerien und einem Fleischer. Auf der anderen Seite der S-Bahn, in Gremberg, liegt Marokko, auf der Kalker Hauptstraße gibt es türkische, polnische und libanesische Geschäfte. Und mit einem syrischen Restaurant fügen sich weitere Neuankömmlinge ein. Dazwischen liegen eine Handvoll alteingesessener Läden, eine Bäckerei in der dritten Generation, eine Brauerei & Brennerei von 1830 und gutbürgerliche Gaststätten, in denen die anwesenden Senior*innen nicht nur mit Hackbraten und Kölsch, sondern auch mit netten Worten versorgt werden.
Seit zwei Jahren wohne ich jetzt hier. In der „bürgerlichen Ecke“, pflege ich zu sagen. Haltestelle Kalk-Kapelle, einen Steinwurf von Rathaus und der Kapelle von Rudolf Schwarz entfernt. Köln-Kalk ist im Kommen – ich persönlich finde ja, das Kalk schon da ist. Aber dieses manchmal fast kitschige Setting ist eine fragile Balance. Ganz sicher, was die Konkurrenz der Discounter und Supermärkte angeht. Im fußläufigen Radius warten Aldi, Netto, Norma, Lidl, Penny, Karadag, Rewe und Edeka und demnächst eben auch ein Kaufland. Es gilt daher, Fachgeschäfte und unabhängige Produzenten zu unterstützen. Nicht nur mit Wohlwollen – sondern mit tatsächlichen, regelmäßigen Einkäufen. Denn sonst sind sie irgendwann nicht mehr da, die kleinen Geschäfte, die fundierte Beratung und die persönliche Ansprache.
In den kommenden Tagen werde ich an dieser vier Geschäfte im Veedel vorstellen.
Diese Reihe ist Teil der „Supermarkt-Challenge“, einer Initiative der Aktion Agrar, die mit Kampagnen, Hintergrundrecherchen und Mitmach-Aktionen das Verhältnis der Menschen zu ihren Lebensmitteln verändern wollen. Eine Woche lang, vom 19. bis zum 26. Oktober, verzichten die Teilnehmer*innen der Challenge bewusst auf den Einkauf in Supermärkten und Discountern und werden dabei mit Tipps und Rezepten unterstützt.
Foto: SupermarktChallenge Kaufland
Bildunterschrift: ehemaliger Kaufhof, Kalker Hauptstraße, Oktober 2018