Bürgerbüro Kalk

Das kleine Pavillon zwischen der Bäckerei Schlechtrimen und dem Eingang zum Stadtgarten Kalk ist bereits seit über einem Vierteljahrhundert Anlaufpunkt und Angebot an die Bürgerinnen und Bürger.

Ins Leben gerufen wurde es 1992 als Wahlkreisbüro der SPD vom Kölner OB Norbert Burger und wird aktuell von der Landtagsabgeordneten Susana dos Santos Herrmann betrieben. Seit 2011 bin ich, Frank Heinz, dort Büroleiter, Nachfolger der späteren Kalker Bezirksbürgermeister Markus Thiele und Marco Pagano.

„Kalk“, das klingt für den Außenstehenden von vornherein eher so semi-einladend. Wahrscheinlich rührt das vom Wissen über die Unverträglichkeit von Kalk und Waschmaschine oder Wasser allgemein. Eigentlich will man Kalk nicht, es gibt sogar Kalk-Stopper, die Anti-Kalk-Formel und selbstredend das weltberühmte „Köln-Kalk-Verbot“, aber das ist eine andere Geschichte.

Der Kalker an und für sich ist ein lebensfroher, liebenswürdiger, im äußerst positiven Sinne nicht allzu kompliziert gestrickter offener und angenehmer Mensch. Wenn es noch typische Kölner und Kölnerinnen gibt, dann leben hier viele davon.

Und irgendwie war der Stadtteil Kalk, aber auch der gesamte Stadtbezirk Kalk schon immer bunt und vielfältig.

Der Anspruch des Bürgerbüros ist es, den Menschen – direkt oder indirekt – weiterzuhelfen, ein kleines Zahnrad zu sein, damit Gesellschaft funktioniert. Das Bürgerbüro wird viel frequentiert, es gibt so viele Geschichten zu erzählen.

Beispielsweise die über den Mann mit syrischen Wurzeln, der vor der großen Flüchtlingswelle ins Büro kommt, weil er seine Familie aus dem Kriegsgebiet holen möchte. Dabei spielt er ein aufgenommenes Telefonat mit der Mutter aus Damaskus vor bis die Konversation abbricht und man nur ein lautes Knallen und Schreie hört. „Das ist meine Mama“, sagt der Mann mit Tränen in den Augen. „Die muss da raus!“

Die junge, zierliche und sehr leise und zurückhaltende Frau aus dem Iran kam mit gleich mehreren Fragen. Sie suche eine größere Wohnung, sie sei alleinerziehend und auf der Suche nach Arbeit. Sie sprach langsam, aber ihr deutsch war gut.

Außerdem suche sie eine Betreuungsstelle für ihre kleine Tochter. Durch Herstellung einiger Kontakte zu den zuständigen Stellen fand sie schließlich eine Wohnung über eine Genossenschaft. Auch den Kitaplatz für die Tochter und eine Anstellung. Insgesamt begleitete ich die Frau gut acht Monate. Letztens habe ich sie getroffen, als sie an der Kasse eines Supermarktes kassierte. Sie brauchte einfach nur ein paar Kontakte. Einige Tage später kam sie und brachte ein Gebäck mit, eine Art Kuchen. Sie hatte ihn selbst gebacken. Der war unglaublich süß und unglaublich lecker.

Da ist die Frau, die aufstockt und nebenher noch arbeiten geht, trotz ihrer Diabetes. In Ihrem Kampf um Mehrbedarf und ein wenig Hilfe leistet das Büro ihr Unterstützung und Vieles konnte erreicht werden.

Auf Empfehlung kommt ein Mann, nennen wir ihn Herr Meier ins Bürgerbüro, gemeinsam mit seiner Freundin. Eine platonische Freundschaft, wie sich schnell herausstellt, denn Herr Meier kann dem weiblichen Geschlecht wenig abgewinnen. Außerdem hat Herr Meier mehrere Operationen am Gehirn überstanden. Hinter seiner Schirmmütze hat sein Kopf eine Delle, aber das macht ihm nichts. „ Ich muss ständig am Kopp operiert werden, hatte schon 4 Schlaganfälle… da lasse ich die Delle im Kopp lieber, dann kommen die da direkt ans Gehirn… Ich trag doch die Mütze, da sieht das keiner, und wenn doch kann man ja wegschauen….“

Hintergrund seines Besuches ist aber, dass Herr Meier keine offizielle Wohnung hat, er ist obdachlos. Darüber hinaus hat er eine Alkoholsucht erfolgreich überwunden. Der Mann war ganz unten, das Schicksal hat ihm übel mitgespielt. Aber er will kämpfen. Seine Freundin lässt ihn bei sich wohnen, jedoch inoffiziell. Das möchten beide ändern. Herr Meier und seine Freundin möchten offiziell eine WG gründen. „Ich möchte, dass der Pitter bei mir wohnt. Ich will nicht ganz alleine wohnen. Der Pitter und ich, wir verstehen uns. Außerdem kann der Pitter besser die Zigaretten drehen“, sagt die Freundin. Das ist natürlich ein Argument.

Aber so einfach ist das nicht. Der Vermieter muss mitspielen und so setzt sich das Bürgerbüro mit dem Vermieter in Verbindung, ebenso mit dem Amt für Wohnungswesen. Denn momentan wohnt Herr Meier ja in einem von der Stadt angemieteten Hotel.

Offiziell ist die Wohneinheit der Freundin zu klein für zwei Personen. Um wenige Quadratmeter. Bringt uns die Bürokratie um einen Erfolg?

Es sind einige Schreiben, viele Telefonate und ein wenig Geduld nötig, dann spielen Ämter, Behörden und Vermieter mit. Alle haben Vorteile, keinem entsteht ein Nachteil. Alle Beteiligten sehen das und reagieren wie Menschen, nicht wie Bürokraten. Herr Meier und seine Freundin leben also nun gemeinsam und geben sich gegenseitig Halt. Herr Meier war im Bürgerbüro und zeigte mir die Ummeldung. Stolz war er und dankbar.

Und es gäbe noch viele andere Geschichten zu erzählen und das wurde mit dem Buch „Ist das hier ein Dönerladen?“ auch umgesetzt, das 2020 im utzverlag erschien.

„Wir dürfen uns nicht zurückziehen in die Vorstandsetagen, in die Sitzungsräume. Unsere Politik wirkt manchmal aseptisch, klinisch rein, durchgestylt, synthetisch. Und das müssen wir ändern. Wir müssen raus ins Leben; da, wo es laut ist; da, wo es brodelt; da wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt. Wir müssen dahin, wo es anstrengend ist. Weil nur da, wo es anstrengend ist, da ist das Leben.“

Wenn der Satz von Sigmar Gabriel irgendwo stimmt, dann hier. Machen wir. Seit über einem Vierteljahrhundert. Im Bürgerbüro Kalk.

Ein Ostblog-Beitrag von Frank Heinz

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