Überlebt

Seit zwanzig Jahren kennen wir uns. Wir kommen tagtäglich hierher. Wir kommen, um ein Bierchen zu trinken. Wir reden darüber, was wir erlebt haben, was wir konsumiert haben.
Wir sind trockene Abhängige. Wir haben uns aufgerafft, wir nehmen keine Drogen, wir trinken unsere drei Bierchen und das wars. Davon werden wir auch nicht betrunken, nur gut drauf. Dann gehen wir nach Hause.
Das Ordnungsamt läßt uns in Ruhe, wenn wir alles aufräumen. Wir sind friedlich. Aber dieses Reich hier dürfen sie uns nicht wegnehmen.
Wenn man hierherkommt, ist das wie eine kleine Familie. Wir sind der Kern. Die letzten aus dem Kalk von damals. Wir halten zusammen. Wir kommen hierher, trinken unser Bierchen, quatschen über alte Geschichten und was wir alles überlebt haben.
Ich bin glücklich, daß ich noch lebe. Ich bin ehrlich glücklich. Ich habe eine Tochter großgezogen, ich bin sogar Oma. Manchmal treffe ich einen von früher. Wie der mich jetzt sieht, sagt er immer: »Du hast was gemacht aus dir. Ich hab gedacht, du wirst nicht mal fünf Jahre überleben.«
Früher waren wir dreißig oder vierzig. Heute sind wir sieben.
Manche gehen in die Hecke dahinten, setzen sich eine Überdosis, werden abgeholt und kommen nicht mehr vom Krankenhaus zurück. Da kreuzen die Freunde auf und sagen: Der ist gestorben.
Wie der eine zum Beispiel, der Stefan. Die Leute haben alle erzählt, er wär gestorben. Drei Schlaganfälle hatte der, dem lief Schaum aus dem Mund. Niemand hat ihn dann mehr gesehen. Wir dachten, er ist tot. Und dann kommt er. Er ist da, er lebt!

(Die zweite Kalker Legende, erzählt von Nadine, Evelin, Rüdiger, aufgeschrieben von Alexander Estis)

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